„Cancel Culture“: Was steckt dahinter?

In den letzten Wochen ist ein Begriff immer häufiger in den sozialen Medien aufgetaucht: Cancel Culture. Was die beiden Wörter genau bedeuten, die Entstehungsgeschichte und weshalb kaum eine prominente Person davor sicher ist.

Die drei größten sozialen Plattformen. © Dole777 über Unsplash

Dem Urban Dictionary zufolge, beschreibt Cancel Culture den Prozess, eine Person gezielt aus den sozialen Medien zu vetreiben. Übersetzen lässt er sich auch mit „Online Shaming“, also Personen oder Unternehmen öffentlich in den sozialen Medien zu demütigen. Oft liegen derartigen Bewegungen, in denen große Gruppen gezielt gegen eine Person vorgehen, bestimmte (kritische) Aussagen oder Verhalten der Zielperson zugrunde. Da spielt es auch keine Rolle, ob eine Tat schon mehrere Jahre zurückliegt, oder es sich um etwas brandaktuelles handelt. Wie NTV es erst kürzlich betitelte: das Salz des Internets.

Im Jahr 2018 berichteten amerikanische Medien erstmals über derartige Verhaltensstrukturen in Verbindung mit dem Begriff Cancel Culture. Der Begriff hat seinen Ursprung scheinbar auf Twitter. Er wurde als Hashtag in Posts, in denen ehemals bekannte Sänger und Schauspieler, wie Micheal Jackson, aufgrund ihres vergangenen Verhaltens verurteilt wurden, verwendet. Aussagen, für die Personen und Unternehmen „gecanceled“ werden, sind oft diskriminierend, homophob oder mit einem rassistischem Hintergrund behaftet.

Das Drama um Joanne K. Rowling

Vor kurzem äußerte sich „Harry Potter“-Autorin J.K. Rowling über das dritte Geschlecht und das Konzept des biologischen Geschlechts auf Twitter. Kurz nachdem sie ihren Post veröffentlichte, war das Thema bereits in beinahe allen sozialen Medien vertreten. Aussagen der Autorin wurden als Transgender-feindlich aufgefasst und viele (ehemalige) Kollegen kritisierten sie für ihre Aussagen. Die Autorin war öffentlichen Beschimpfungen und einer Empörungswelle ausgesetzt. Im Rahmen dessen wurde die Existenz einer Cancel Culture noch deutlicher.

In einem offenen Brief, der am 7. Juli online erschienen ist und im Oktober im Harper’s Magazine veröffentlicht wird, fordern 150 Autoren und Autorinnen eine öffentliche Debatte und die Möglichkeit, die Meinung frei äußern zu können. Sie setzen sich für einen Ideentausch und gesunde Diskussionen ein, die gegensäzlichen Meinungen nicht grundlegend mit Hass und Abneigung gegenübertreten. Bereits jetzt müssen sich die Autoren in den sozialen Medien für ihre Unterschrift rechtfertigen. Den Brief und die Liste der Autoren findet ihr hier.

Ein Tweet von DailyWire-Editor Ben Shapiro fasst die aktuelle Situation auf Twitter zusammen. Foto: Twitter

Bekannte Personen verlassen die sozialen Medien

Der amerikanische Youtubestar Jenna Marbles hat sich am 26. Juni dafür entschieden, ihre sozialen Plattformen zu verlassen. Scheinbar haben sie Zuschauer zur Verantwortung für Aussagen gezogen, die sie in Videos gemacht hat, die bereits zehn Jahre alt sind. Damals hat sie sich über die Rapperin Nicki Minaj lustig gemacht und sich in einer Parodie das Gesicht dunkel angemalt. Heutzutage wird das als „Blackfacing“ betrachtet und als rassistisch angesehen. In einem weiteren Video hatte sie sogenanntes „Slutshaming“ betrieben und über Frauen geurteilt, die zu kurze Röcke tragen und jede Nacht mit einem anderen Mann verbringen würden. Sie hat sich öffentlich entschuldigt, die Videos gelöscht und schließlich ihren 20 Millionen Abonnenten „Goodbye“ gesagt. Viele sind geschockt und in den Kommentaren heißt es, dass die Cancel Culture diesmal zu weit gegangen ist und sich die falsche Person ausgesucht hat.

Wann ist die Cancel Culture canceled?

In einer weiteren Definiton des Urban Dictionary heißt es, dass sich die Cancel Culture zu einer irrationalen „Mob“-Bewegung entwickelt hat, deren Fokus darauf liegt, einen Ruf zu zerstören. Das Ziel ist es nicht, herauszufinden, weshalb Aussagen möglicherweise falsch sein könnten. Es gehe außerdem schon lange nicht mehr um Aufklärung oder Weiterbildung; es gehe viel mehr darum, Frust abzubauen und bevor es umfassende Hintergrundinformationen gibt, das Problem „selbst in die Hand“ zu nehmen. Wie Kolumnistin Suzanne Moore es formuliert hat: Cancellation is not Activism.

Das Problem um die Cancel Culture ist mittlerweile auch bei Präsident Donald Trump angekommen. Die BBC zitierte in einem Artikel einige seiner Aussagen, darunter seine Einordnung der Bewegung als linksfaschistisch und puren Totalitarismus. Auf einer Feierlichkeit zum Unabhängigkeitstag der USA habe er gesagt, dass er die Cancel Culture bald zu einem Ende bringen will. Ob ein derartiges Unterfangen überhaupt möglich ist, oder ob der Präsident nur leere Versprechungen gibt, wird sich zeigen.

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